Das Fundstück
"So, heute mach ich mir mein Beet." Opa klopfte sich beim Aufstehen auf die Schenkel, räumte sein Geschirr zusammen, stapelte es auf unseres und brachte es ins Haus. Opa hatte die letzten zwei Tage, seit Sonntag, mit Oma über sein Beet diskutiert. Er wolle unbedingt ein Beet im Garten anlegen, für Möhren, Radieschen und Kräuter, vielleicht auch ein bisschen Spinat. Das mit dem Spinat war eine guter Einfall, Spinat nämlich mag Oma sehr gern, am liebsten mit Spiegelei; Spiegelei mag Opa auch, ich mag beides, so wie Oma, und irgendwann sagte sie, so ein frischer Spinat wär schon was. Im Garten gab es bisher nur Blumenbeete und Rasen, und Büsche mit kleinen Blüten, auch Stachelbeer- und Johannisbeersträucher, aber an denen sind noch lang keine Früchte dran, und Opa wirkte richtig aufgeregt als er aus dem Haus kam, mit gelbgrüner Latzhose. "Soll ich dir beim Umgraben helfen?", fragte ich. "Nein, nein, das mach ich schon. Du kannst aufpassen, dass ich alles richtig mach", er zwinkerte mir zu. Er holte sich den Spaten aus dem Schuppen und tauschte seine Gartenlatschen mit Omas Plastepantoffeln. "Und nicht immer gucken kommen, Frieda, lasst mich mal in Ruhe machen, ich sag schon, wenn ich was brauch!" Opa mochte es garnicht, wenn Oma bei seinem Gewerkel danebenstand und zuguckte. "Wir vertreiben uns schon die Zeit", meinte Oma lachend, und ich freute mich schon drauf, denn bei Sonnenschein lagen wir gern auf unseren Liegestühlen, ich mit meinen Comics und sie mit ihrem dicken Schmöker.
Ich war schon mit dem zweiten Comic durch als ich zu Opa rüber schaute. Ich stutzte, Oma sah es auch schon und meinte "Jürgen, sag mal ist das nicht ein bisschen tief?" Sie war aufgestanden und stemmte ihre Arme in die Hüften. Opa sagte nichts, deutete nur mit dem Kopf auf eine Stelle im Gras. Neugierig ging auch ich näher. Dort lag eine Eincentmünze. Oma verstand, begriff. "Und du meinst, du findest noch mehr?" Opa ließ sich nicht beirren und wühlte unbekümmert weiter. "Wenn ich hier schon buddel, schau ich gleich mal nach." Opa buddelte schon eine ganze Weile und stand jetzt schon bis zu den Knien in seinem Erdloch. Er hatte vorher für sein Beet die Grenzen abgesteckt, ein roter Wollfaden umrandete das Loch, an den Ecken mit Stäbchen festgemacht, damit es ein schönes Rechteck ergab. Ich hoffte, die Stäbchen waren nicht Omas Stricknadeln, das gäbe Ärger. Opa stemmte sich voran und stach mit seinem Spaten die Wände exakt gerade nach unten aus. Jede einzelne Schaufel Erde breitete er unten auf dem Boden vor sich aus und durchstöberte sie mit der Spatenspitze gründlich bevor sie auf den Erdhaufen oben neben dem Loch landete.
"Ach Jürgen, Jürgen. Du bist schon ganz rot, nicht dass du mir noch umfällst! Ich hol dir mal was zu trinken! Du hast ja noch garnichts getrunken." Sie drehte sich weg und ich hörte wie Oma zum Haus stapfte. Oma ist auch nur eine kleine dünne Frau, aber stapfen kann sie sehr gut. Oma kam mit einem Glas Apfelsaft wieder. Weil Opa sich nicht darum kümmerte, stellte sie es an den Rand des Loches. "Ach, mach doch mal eine Pause, Jürgen, du kriegst noch einen Hitzschlag. Das Glas steht hier, hörst du?" Opa schaufelte unermüdlich weiter. "Bleibst du hier und passt auf Opa auf? Sag ihm, er soll mal was trinken." Ich nickte und Oma ging die Blumen im Garten ab, und fing an zwischen ihnen herumzupulen, ihr wurde das wohl langsam zuviel und zupfte lieber Unkraut. Als ich mich wieder zu Opa drehte, trank er gerade den letzten Schluck Apfelsaft und stellte das Glas zurück an den Grubenrand. "Soll ich dir noch was holen?" fragte ich, aber Opa schüttelte nur seinen Kopf und werkelte auch schon weiter. Er bohrte und kratzte jeden Zentimeter der Erdwand ab, ja keine Münze übersehen. Die abgeschabte Erde schaufelte er dann in seinen Eimer, den er, wenn er voll war, oben neben dem Loch auskippte. Mittlerweile musste er den Eimer dafür hoch über seinen Kopf heben, und ich half ihm dabei, übernahm den Eimer und leerte den für ihn. Er machte den Eimer auch nicht mehr ganz so voll, ich musste bei dem Gewicht ganz schön auf das Gleichgewicht achten. "Keine Sorge, das kommt noch alles", sagte Opa und nahm mir den leeren Eimer wieder ab. "Erst kriegst du Muskeln, und dann wirst du zäh." Er streckte mir einen Arm entgegen und umklammerte mit der anderen Hand seinen Oberarm. "Zäh wie Leder, sag ich dir! Zäh wie Leder!" Und drückte an ihm herum.
Er hatte auch nun seine Gummistiefel an, Oma hat sie ihm an den Rand gestellt, gesagt hat sie dabei nichts. Mittlerweile machten die sich auch besser als die klobigen Plastikpantoffeln, die mit den Löchern. Die Erde in der Grube wurde langsam matschig. Oma war kurz im Haus verschwunden und kam mit einem Holzbrett aus der Küche zurück. Sie hockte sich umständlich auf nur einem Knie und fing an mit dem Holzbrett in beiden Händen in das Erdloch zu wedeln. Das machte sie so langsam, bei Opa kam bestimmt nichts an. Sie ließ es auch bald sein und stöberte wieder zwischen den Blumen.
"Wälz dich da mal nicht so im Gras, das gibt Flecken, zieh dir lieber die dunkle Hose an", Opa stocherte weiter in der dunklen Erdwand vor sich, er hörte sich schon an wie Oma. Ich mag die dunkle Hose nicht, die ist schwarz, und nur weil man die Flecken nicht so gut sieht, heißt es ja nicht, die wäre sauber. In der Schule haben auch einige immer nur schwarze Klamotten an, nichts anderes. Sie finden das cool. Ich hab ein neues T-Shirt von Ohnezahn, das ist cool! Dann hocke ich mich eben hin.
Jetzt waren es schon fünf Findlinge, ordentlich in Reih und Glied lagen sie am Rand im Gras. Dick mit Erde verklumpt, konnte man erkennen, dass es Münzen waren. Opa hatte sie nur notdürftig gesäubert. Ich rubbelte die Erde ab und bekam sie mit Spucke einigermaßen sauber. Im Gras wischte ich sie trocken. Zwei Zweicentmünzen, eine Eincentmünze und sogar ein Zehner. Auf dem letzten stand 1 Pfennig und war ganz leicht und silbern. "1 Pfennig, Opa, 1 Pfennig, kennst du sowas?" Opa hielt mit dem Schaufeln inne und hob seinen Kopf zu mir an den Rand. "Ein Pfennigstück, ja?" Ich hielt ihm den Pfennig entgegen. Er nickte. "Aus der DDR. Ist nichts wert, damals nicht, und heute erst recht nicht." Mit einer Hand wedelte er abweisend vor sich hin. "Meinst du nicht, es gibt Sammler dafür?", fragte ich. "Ne, ne", er schüttelte den Kopf und begann wieder zu schaufeln. "Dafür nicht." Schade fand ich. Ich würde ihn trotzdem behalten. Von der DDR haben mir mal Mutti und Papa erzählt. Die war hier früher. Früher war Deutschland in zwei Hälften geteilt, unsere war ein bisschen kleiner, und man hatte eine Mauer dazwischengebaut, mitten durch ganz Deutschland, und durch Berlin genau dasselbe. Das haben sie nach dem großen Krieg so gemacht. Wieso, habe ich gefragt, aber das wussten sie nicht so genau, sagten sie und zuckten mit den Schultern. Aber vielleicht wollten sie es auch nur nicht sagen. Und durften die Menschen denn auch nicht zu den anderen in Deutschland?, aber sie schüttelten nur mit dem Kopf, also wohl nicht. Wieso habe nicht nochmal gefragt.
Irgendwann ist Opa die Holzleiter hochgeklettert, die ich mit Oma aus dem Schuppen getragen und zusammen in das Loch gehievt habe. Für heute reicht's, meinte er, da stand er noch auf der Leiter. Oma war ganz schön erleichtert. Kaum aber stand Opa bei uns am Gartentisch, fingerte er auch schon nach dem Telefon. Bei Opa schlägt manchmal der Geistesblitz ein, und jetzt war es wieder soweit. Oma ahnte, das mit der Buddelei war noch nicht vorbei. Ganz starr, ohne sich zu rühren, hockte sie auf ihrem Stuhl und beobachtete jede Bewegung Opas.
"Ja, zum Zuschaufeln. Aber vielleicht musst du auch noch... ach, komm mal einfach, das wär schön. Danke, Junge. Dann bis morgen." Opa nahm sein Handy vom Ohr und tippte sogleich eine andere Nummer in die Tasten. "Ja, Jürgen hier. Du, sag mal Hans, hast du nicht noch den Metalldetektor? Den du dir mal für deine Strandgänge zugelegt hast. Ja? Gut, kannst du den mal entbehren? Ich bräuchte den mal. Naja, schon jetzt." Pause, Opa sagte nichts, kratzte sich nur am Kopf. "Für meinen Garten." Wieder Pause. "Ja, denn bist du eben mit dabei." Kaum eine halbe Stunde später, stand Hans mit dem Metalldetektor vor der Grube. Er schien aufgeregter als Opa. Opa rupfte ihm das Gerät aus der Hand als er wieder die Holzleiter runtergestiegen ist und nun in dem Erdloch stand. Er hätte sich wohl gewünscht, Hans würde ihm das Gerät nur dalassen, und wäre gleich wieder gegangen. Hans würde nun Augenzeuge und beugte sich auch schon gespannt über das Loch. "Hast ja ganz schön tief gegraben." sagte er anerkennend. Opa gab keine Antwort, tastete nur mit dem Detektor die Wände und den Boden ganz langsam ab. Ein gleichmäßiges Klicken war vom Gerät zu hören, klick, klick, klick. Klicklicklicklick!, des Gerät ratterte los. Es hatte ausgeschlagen! Opa schwang das Gerät zur Seite. Fehlalarm. Er war nur zu nah an die Schaufel gekommen, die lag noch neben ihm. Auch Oma japste ganz kurz nach Luft. Wir standen zu dritt neben dem Erdloch und trauten uns kaum zu atmen. Es klickte gleichmäßig weiter, klick, klick, klick. Nach einer Ewigkeit senkte Opa das Gerät und schaute enttäuscht vor sich her. Ich hatte ganz genau aufgepasst, aber Opa hatte jeden Zentimeter erwischt, manchmal sogar mehrmals. Da war nichts. "Shiet verdoomt", sagte Hans. Ach Frieda, hörte ich Opa raunen. Oma seufzte. Hans war schneller weg als wir gucken konnten.
Opa wollte sich schon in seinen Stuhl setzen, da fuchtelte Oma mit ihren Armen. "Kommt garnicht in die Tüte, Jürgen, erst gehst du dich duschen. Du bist doch ganz dreckig! So kannst du nicht bleiben, das Stuhlkissen wird ja ganz schmutzig!" Opa war wirklich ganz schmutzig. Er gab einen Seufzer von sich, hatte es wohl geahnt, aber einen Versuch war es ihm anscheinend wert. "Hätt ja was werden können", nuschelte er mir zu, sah es aber ein und schlurfte ins Haus. Die Gummistiefel hat er noch schnell ausgezogen. Omas Blick hatte er wohl gespürt. In der Zwischenzeit räumten wir den Kaffeetisch zurecht. Als ich die Teller und das Besteck aufteilte, kam Oma mit einem Berg Streuselkuchen an. Ich bekam große Augen. "Wo hast du den denn jetzt her?", ich habe garnicht mitgekriegt, dass sie gebacken hatte. "Och, den hatte ich noch." "Oma, du bist echt 'ne Wucht. Ich hab auch richtig Kohldampf", ich rieb mir dabei meinen Bauch, das sagte ich nicht nur so daher. Sie lachte laut auf und warf ihren Kopf in den Nacken. Der Kuchen rutschte ihr dabei beinah vom Teller. Ein paar Krümel klebten ihr jetzt an der Bluse. Sie setzte den Streuselkuchen gleich neben meinem Teller ab, damit ich besser drankäme. Ich nahm mir das größte Stück. Auch Opa fand sich am Tisch ein, mit frischem Hemd und sauberer Hose und ganz schön viel Parfum. "Du hast dich aber eingedieselt", sagte Oma. Opa strich sich über sein Hemd und tat geschmeichelt. Seine Haare waren noch feucht und klebten ihm am Kopf, man sah die Kammspuren im gestriegelten Haar. Opa rückte sich seinen Stuhl zurecht, ließ sich nieder, und bugsierte sich gleich zwei Stücke auf seinen Teller, und mampfte mit großem Appetit drauflos. Ich versuchte mitzuhalten, war aber einen Kuchenkrümel zu langsam. Er verdrückte die Stücke im Nu, goss sich seine Tasse Kaffee hinterher, und schien vollends zufrieden. Mit einem ausgiebigen Gähnen lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Oma fing an zu schwelgen. Wenn Oma schwelgte, konnte das länger dauern. Obwohl ich keinen Hunger mehr hatte, nahm ich mir ein Randstück, um daran rumzupulen. Oma schwelgte oft, wenn wir auf der Terrasse saßen und Kuchen aßen. Sie guckte dann immer ihren Jürgen an, wie sie sagt, und machte dann merkwürdige Seufzgeräusche. Ach Jürgen, sagt sie dann immer, weißt du noch, damals, und so weiter. Sie erzählte dann immer verträumt über die Blumen, die er ihr geschenkt hatte und wie er ihr den Heiratsantrag gemacht hat, und wie sie beide immer zum Tanzen gegangen sind und noch viel mehr. Sie redete und seufzte und bekam ganz rosige Flecken auf ihren Wangen. Während sie redet, guckte sie Opa dabei unentwegt an, blinzelte auch manchmal in den Himmel. Sie vergaß dabei meist auch ihren Kuchen zu essen, am Ende legte sie das angeknabberte Stück wieder auf den Kuchenteller. Opa war eingeschlafen. Mit halb offenem Mund, den Kopf zur Seite gerutscht, röchelte er vor sich hin. "Das war auch wirklich anstrengend", sagte Oma. "Ach, Jürgen." Sie ließ Opa schlafen, und fummelte die Decke vom Stuhl neben ihr. Die Decke nahm sie immer schon gleich mit, wenn wir uns in den Garten setzten. Ohne aufzustehen, warf sie die ihm über seinen kleinen Körper. Etwas unbeholfen so im Sitzen zurrte sie die Decke zurecht. Opa nickte oft nach dem Kuchen ein.
Am nächsten Nachmittag ist Papa gekommen, um mit Opa zusammen das Loch zuzubuddeln. Opa juckte es schon nach dem Frühstück in den Fingern, wie er sagte, aber seine Muskeln wären noch ganz steif. Wir frühstückten immer erst spät und sind erst gegen elf Uhr fertig, manchmal sogar noch später, bis Papa kam, brauchte er also garnicht lange warten, Oma und Opa sind Spätaufsteher, zum Glück! Opa war wieder geschmeidig, und die beiden schaufelten nun um die Wette mit der ausgehobenen Erde, welche wie ein dunkler Berg fast den ganzen Rasen einnahm. Opa schaufelte ins Loch, Papa in die Gartenschubkarre, die er dann, wenn sie voll war, über dem Loch auskippte. Ich stand da und wollte helfen, aber ich wusste nicht wie, die beiden waren auch so fix, sie drehten sich zu einer Seite und schaufelten zur anderen, krumm nach vorn gebeugt, graben und graben, immer gleichmäßig, als ob sie nur ihre Spaten hielten, und jemand sie am Kopf drehen würde, links-rechts, links-rechts. Zwei Gräber in Omas Garten. Gräber oder Graber? Wie sagt man das eigentlich richtig? Gräber ist ja eigentlich was anderes. Omas Garten stimmt auch nicht ganz. Es ist ja auch Opas Garten.
Papa ist von Beruf kein Graber, sondern Arzt. Papa ist aber auch kein normaler Arzt, der einem in den Hals schaut. Papa kann durch Menschen schauen. Radio, logo!, so kann ich mir das merken. Wie Superman kann er durch die Menschen hindurchschauen und auch sehen was sie in sich drinne haben. Er braucht dafür zwar einen Apparat, Superman kann das ja einfach mit seinen Augen, aber ich find das ist fast dasselbe. Manchmal erzählt er wie die Leute, also die Patienten, ihre Knochen verbogen und zerbrochen haben, oft aus großer Dummmheit, wie er sagt. Das sieht man von außen garnicht, aber die Knochen liegen schief und krumm innendrinnen völlig verkehrt. Er kriegt die oft so zu sehen. Und weil er Radiologoarzt ist, hat er Mittwochnachmittag immer frei, er bringt mich dann zum Skaterplatz und hinterher holen wir Mutti von ihrem Tanzkurs ab. Nur heute fällt das Skateboardüben aus, weil der Trainer im Urlaub ist. Trainer ist er garnicht, aber er ist schon über zwanzig und bringt uns allerhand übers Skaten bei, und bei ihm kann man mal auf seinem Flowboard probieren. Weil Ferien sind und ich bei Oma und Opa bin, und die beiden sich darüber freuen, gehe ich heut nicht zum Skaten, ich mach auch Urlaub. Das mit dem Tanzen mag ich nicht, irgendwas so ähnlich wie Flamingo, es ist so laut und immerzu stampfen die Frauen auf dem Boden rum. Mutti sagt manchmal, ich soll nicht so laut durchs Haus poltern. Die Erwachsenen versteh ich nicht. Aber wenn sie vor uns herumwirbelt in ihrem rüschigen Kleid und uns ihre neuen Drehungen vorführt, ist es ganz hübsch, finde ich. Papi macht da nicht mit, tanzen kann man auch nur mit einem richtigen Tänzer, einem Profi, sagt Mutti, sie hat schon einen dafür, der heißt Ricardo, und mit dem tanzt sie manchmal auch bei Veranstaltungen am Wochenende. Bei denen brauch ich aber nicht mitkommen. Ricardo hatte einen Freund, einen Freund. Sonst würd er sich auch Sorgen machen, hat Papa mal gesagt, ich weiß zwar nicht, was er damit meint, aber es ist wohl gut so. Mutti hat nachmittags öfters frei, und diese Woche wie ich den ganzen Tag. Sie ist zwar auf einer anderen Schule, aber die meisten Schulen haben ja gleichzeitig Ferien. Sie ist Lehrerin für Deutsch und Musik. Annelie und Felix, die sind bei ihr auf der Schule, und Felix hat erzählt, wie sie sich für Deutsch ein Gedicht ausdenken sollten, und in Musik haben sie dann dazu mit Instrumenten gespielt, manche haben sogar gerappt. Das war ein Riesenspaß!, sagte Felix. Darauf war ich neidisch, aber auch ein wenig stolz deshalb, weil es ja meine Mutti ist. Der Musiklehrer, den ich habe, ist ziemlich lahm. Der würde nie auf solche Ideen kommen. Mutti hat sogar ein Saxophon, darauf spielt sie zuhause aber nur ganz selten seit wir umgezogen sind, weil es so laut ist. Ich hab es auch mal ausprobiert, aber es hat sich angehört als wäre ich auf eine Ente getreten. Den Laut konnte ich sogar nachahmen, ohne Saxophon. Wir haben uns kaputtgelacht, dann konnte Mutti auch nicht mehr spielen. Irgendwann ging es dann doch, wirklich pompös!, wie Opa einmal gesagt hat.
Schneller als gedacht waren Opa und Papa fertig, ruckzuck war das Loch wieder zugeschüttet, der Rasen daneben war jetzt fast schwarz. Eben noch türmte sich der Berg Erde, jetzt war das Gras ganz platt und dunkel. "Mehr haben wir nicht, fehlt mal wieder was." Papa stach den Spaten in die Erde und versuchte seinen Rücken durchzubiegen. Schweiß lief ihm über sein ganzes Gesicht und sein Shirt klebte an Brust und Rücken fest. Er war genauso rot im Gesicht wie Opa. Der stützte sich seinen Kopf auf seinem Spaten ab. "Ist ja immer so", japste Opa hervor, mit dem Gesicht nach unten. "Als ob sich die Erde in Luft auflöst." Die beide hatten die gesamte Erde in das Loch geschüttet, die Opa ausgehoben hatte, sind sogar noch mit der Harke hinterher, die Harke hat Oma dazugelegt, aber das Loch wurde nicht wieder so voll wie vorher. Ich hockte mich an den Rand und presste meine Hand an die Wandseite, dort wo die Erde noch fehlte, passt haargenau. Ich streckte sie in die Luft, um sie Opa und Papa zeigen. "Eine Handbreit fehlt!" Ich schaute nochmal zu der Stelle mit dem jetzt erdigen Rasen, aber da lag nicht mehr genügend, um den Rest des Loches auszufüllen. Die Erde hatte sich wirklich in Luft aufgelöst. Papa sah auf seine Uhr während er sie ums Handgelenk band, die hatte er vorher auf dem Gartentisch abgelegt. "Da sind wir ja richtig zügig vorangekommen", er zog seine Mundwinkel dabei nach unten und nickte ein paar Male. "Kann ich kurz mal bei euch duschen?" "Ja, selbstverständlich, Rolf, mein Junge. Du weißt ja wo alles ist." Papa zog sich sein klebriges Shirt aus und hing es über die Stuhllehne und verschwand im Haus. Die Münzen hab ich mit dem Gartenschlauch abgespült und die Centmünzen lagen jetzt neben dem Pfennig vor mir auf den Tisch. Opa hat gesagt, kannst behalten, wenn du willst. Natürlich will ich das! Der Pfennig kommt in eine Extraschachtel, aber die Centmünzen kriegt mein Sparschwein zu fressen.
Frisch nach Duschgel riechend, kam Papa wieder an den Gartentisch. Sein Gesicht war nicht mehr ganz so rot, und Schweiß war auch keiner mehr zu sehen. Er zog sein Shirt von der Lehne und hob es prüfend in die Luft. In der prallen Sonne war es fast komplett getrocknet. Er schüttelte es kräftig aus, so dass es ein wenig staubte. "Soll ich dir eins von Jürgen geben? Das musst du doch nicht anziehen." "Nein, ist nicht nötig, danke", sagte Papa zu Oma. "Ich hol ja gleich Gise ab, wir fahren uns dann sowieso zuhause umziehen wegen dem Abendessen." Oma nickte. Papa und Mutti gehen heute schick essen, sie feiern Hochzeitstag. Sie haben gefragt, ob ich mitkommen möchte, aber die sollen mal ein bisschen Zeit für sich haben, wie Oma sagt, außerdem find ich es in schicken Restaurants irgendwie langweilig. Dafür gibt es heute bei uns Grillwürstchen und sogar Marshmallows!, die wir mit Stöckchen über den Grill halten. Der Grill ist nicht groß, kann dafür aber auf dem Gartentisch stehen, und ich muss höllisch aufpassen, dass mir keiner der Marshmallows auf den Grill tropft. Dann zieht Opa den Stecker und der verlorenen Marshmallow muss erst aus dem Grill gekratzt werden. "Willst du jetzt immer noch dein Beet anlegen, oder hast du genug?" Opa sagte nichts und dachte angestrengt über irgendwas nach. "Dann musst du noch den Rasen neu aussäen. Du hättest das Gras vorher sauber abstechen sollen, das hätte man wieder drüberlegen können", redete Papa weiter. Opa schüttelte sofort den Kopf und fuchtelte dabei mit seiner Hand. "Nix da. Da mach ich ein Hochbeet drauf. Schön mit Holzverkleidung und in Hüfthöhe, hab ich mir überlegt. Aber in schmalen Reihen, also schmale Kästen, zwischen denen man gehen kann. Damit man sich nicht bücken muss." Er tippte mit seinem Zeigefinger schlau an seinen Kopf. "Das geht dann mit dem Ernten richtig einfach."