Lisbeth
Sie aalen sich beide in der Sonne. Auf ihren Liegen in der prallen Julisonne. Mit Strohhut und Sonnenbrille, wie es sich gehört. Annegret und Lisbeth, ausgestreckt und brutzeln. Dies ist schon das zweite Jahr, dass sie beide hier so zusammen im Garten liegen. Seit dem Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren, war es Lisbeth zu still und einsam in dem großen Haus. Sie wollte es beinah verkaufen. Ihre Kinder bleiben lieber in der Stadt, sie wollen das Haus hier draußen nicht. Nur das mit dem Verkaufen tat ihr in der Seele weh, und als sie mit Annegret bei einem Likörchen schnakselte, da kam ihnen die Idee. Annegret zieht zu ihr ins Haus, wie wunderbar das wird. Annegret und Lisbeth sind schon seit ihrer Kindheit beste Freundinnen. Annegret hatte nie einen Mann, einen Ehemann, sie war zwar nie verheiratet, hatte aber trotzdem eine Menge Verehrer, nur heiraten, das wollte sie nie, sie wollte lieber frei sein, wie sie sagt. Und so kam es, dass sie es in ihrem hohen Alter nochmal wagen, wie sie sagen. Ach, herrlich ist die Sonne. Lisbeth ist eingedöst, vertrocknet und wird wach. Braucht was zu trinken. Sie schmatzt, ihr Mund ist schon ganz heiß. Und hat nichts mehr zu trinken. Sie nimmt sich ihr leeres Glas vom Hocker.
"Annie", so nennt sie Lisbeth, die hat noch was in ihrem, und hievt sich von der Liege.
"Ich hol mir mal was zu trinken." "Ist gut, Lisbeth, ist gut." Sie schlurft ins Haus, hier ist es ganz schattig, beinah dunkel, huch, Moment, ganz langsam. es flimmert ihr vor den Augen, eben war noch soviel Licht. Sie steht in der Küche und hält sich erstmal fest. Ihr ist plötzlich düsig, ihr wird ganz schummrig, der Kopf dröhnt. Sie hält den Kopf gesenkt und will ihn heben. Doch will das irgendwie nicht gehen, besser nicht, das macht‘s nur schlimmer. Es kribbelt bis in ihre Finger. Irgendwas reißt ihr die Beine weg, sie sackt zusammen, und landet dumpf auf ihren Küchenteppich. Es ist kaum zu hören. Nur ihr Kopf landet daneben, knallt direkt auf die Küchenfliesen, bricht, ein hohles Brechen. "Lisbeth, Lisbeth!" Aber Lisbeth antwortet nicht. Sie hört wohl grad nicht. Oder telefoniert, Lisbeth telefoniert sehr viel. "Lisbeth, Lisbeth! Du verpasst die Sonne!" Ach, das hört sie auch nicht. Sie soll mal wieder herkommen. Zu zweit ist es doch am schönsten. Annegret schmiert sich vorsorglich lieber noch mal eine dicke Portion Sonnencreme aufs Gesicht, aufs Dekolleté. Vielleicht hat sich Lisbeth auch schon verbrannt. Und muss sich erstmal kühlen, das merkt man ja erst, wenn man aus der Sonne ist. Sie ist da sehr empfindlich, Lisbeths ihre Haut. Sie ist schon wieder eingedöst. Lisbeth schon wieder weg, oder noch garnicht da? Die Sonne wird schon kühler. Was ist denn das da unten? Da unten auf dem Boden. Was ist denn das für ein Schatten da unten? "Lisbeth, was machst du da? Was machst du denn da?", sie beugt sich runter und greift nach ihrer Schulter. Will rütteln, und rüttelt nicht. Sie will es nicht probieren. "Lisbeth?" Kommt wieder hoch, hangelt sich an der Küchenzeile rückwärts. Lisbeth? Kein Sonnenbrand. Sie ist ganz kühl. Wo ist Lisbeth hin? Sie ist ganz kühl, und etwas steif. Starrt auf den Schatten, der da unten liegt, und angezogen ist wie Lisbeth. Ach Lisbeth, Lisbeth. Lisbeth. "Und sie waren nicht einmal in der Küche die letzten vier Stunden. Um etwas zu essen oder zu trinken, die ganze Zeit nicht? Der Polizist war erstaunt, wollte es nicht glauben. Sie wich seinem Blick aus. Schaute zur Seite, senkte den Blick. "Ich trinke nicht viel." Sie blinzelte zum Licht, zum Fenster. Ich trinke nicht viel. Sie hantieren, mit einer Decke, mit Instrumenten, fast flüstern sie. Eine Trage steht da schon. Annegret stand wie betäubt, im Flur, im Dunklen, weit weg von dem. Sitzt nun auf ihrem Schuhschränkchen. Der Arzt kommt aus der Küche, kommt in den Flur. Zu ihr? Nein, nicht zu ihr. Hält sein Telefon am Ohr, öffnet die Haustür und geht raus, "Baumweg, Hausnummer 9, Kruse und Behmer", hört sie ihn laut, er kommt dabei wieder rein. Was ist mit den Sachen auf der Veranda? Den Stühlen, die Creme, ihr Glas, das trocknet doch da ein. Und die Verandatür? Sie mochte sich nicht bewegen. Mochte sich einfach nicht bewegen. Hier sitzen reicht ihr. Hier irgendwie nur sitzen. Sie schüttelt mit dem Kopf, sie möchte nicht ins Krankenhaus. Die Frau hockt vor ihr, und nickt mit dem Kopf. Bekannten? Ein Nachbar? Sie zuckt nur mit den Schultern. Er kam ganz gut mit den beiden aus, seine Frau war da zurückhaltend, war von Natur aus distanzierter. Seine Kinder ließen sie oft im Garten spielen, und passten auf sie auf. Die eigenen Großeltern zu weit weg, freuten sich die beiden jedesmal. Er setzte sich zu ihr an den Küchentisch. Ihr gegenüber. Ihren Kopf hielt sie zur Seite gedreht, die kleinen roten runden Augen hielten keine Blicke aus. Sie guckte, blinzelte zum Fenster. Ganz langsam, und noch so zur Seite gedreht, ganz langsam sank ihr Kopf auf ihren Arm, als würde sie es sich überlegen. Ganz langsam sank ihr Kopf und blieb dort liegen. Winzig klein und eingekauert lag sie auf dem Tisch. Er hielt ihr ihre Hand. So dünn und kühl, und sagte nichts. Kein Laut, kein Atmen, nur ein See. Ein See machte sich bemerkbar, schwoll an unter ihrer Wange, floss ohne Wellen. Erschrocken über dieses stille Wasser, ein Taschentuch brauchte er. Mit einer Hand wühlte er in seinen Taschen, aber doch ganz bewegungslos. Wollte nicht unnötig an ihrer Hand rütteln, wollte sie nicht stören. Nur mit seinen Fingern, erst rechts, dann über kreuz die linke Seite, hat er eins gefunden, noch unbenutzt, zum Glück. Schob ihr das Taschentuch ganz sachte unter ihre Wange. Den Kopf auf ihren Arm, kauerten sie zusammen da, saßen eine ganze Weile. Er sagte nichts und beide schwiegen.
Was soll der Tod Gutes haben?
Man besinnt sich auf die Liebsten, auf das Wesentliche. Ein Gutes hat . . .