Es wird berichtet von dunklen Wolken vor dem Mond, die Meldung des Tages. Ach, schalt doch bitte den Fernseher aus, die haben wohl nichts Ordentliches mehr zu berichten, ich geh mal eben mit dem Hund.
Wäre es nicht so ungewöhnlich, würde man es nicht vernehmen, doch schaut doch sonst nachts niemand aus dem Fenster. Und dann noch hochgereckten Halses in den Himmel, gequetscht in Fensterrahmen. Manch einer mit Fernglas vor dem Gesicht. Beinah jedes Fenster offen, starren dort offene Münder in das Licht. Der Hund derweil am werkeln, schaut auch der Hundeführer hoch. Nur dicke Wolken vor dem Mond. Na und? Die Nachrichten haben sie wohl alle brav geguckt. Schon komisch, trotzdem komisch. Zurück im Haus, steht seine Frau, leichenblass, und flüstert, ohne Ton. Der Mond. Der Mond. Ein Fragezeichen überm Kopf, kratzt er es sich von seinem Schädel. Die werden hier wohl alle irre. Die Augen weit und starr, gar panisch, traut die Frau sich nicht zu blinzeln. Der Mond. Das Flüstern macht ihm Angst. "Sie erzählen, da im Fernsehen..., dass da was nicht stimmt. Die Wolken. Die sind nicht - normal." Die Augen riesengroß. Er grunzt und schlurft an ihr vorbei, die da draußen, die da schon so starren und jetzt auch noch seine Frau. Er geht zum Fenster und schaut raus. Die Wolken sind schon komisch. Das Fenster auf, den Kopf hinaus, die Wolken bewegen sich vorm Mond. Aber auch nur direkt davor, sind ganz weit weg, nur dunkle Flecken, lassen den Mondschein nicht in Ruhe. Er sieht, die Wolken dort sind nicht korrekt.
Er muss doch hier irgendwo ein Fernglas haben. In der hintersten Ecke der Kommode, dort findet er das dicke klobige, vom Großvater geerbt. Zurück am Fenster anvisiert er nun mit dem Gerät den Mond, seine Frau kauert hinter seiner Schulter. Aber auch damit sieht man nichts Genaueres. Tiefgraue Wolken, unheimlich.
Es wurden alle einberufen in die Welthauptstadt der Astroforschung, zum weltumspannenden Kongress. Die NASA, die ESA, ROSKOSMOS/a. D. RKA, von Japan bis nach Kanada, Wissenschaftler, Forscher und sämtliche Staatenführer. Doch eher kamen sie schon von selbst, im Sog von Ratlosigkeit nebst Euphorie. Die Spektren sind verblüffend, setzen sich zusammen aus vielen. Sie machen Tests, vermessen, direkt oder indirekt. Die Wolken dort, die Gasmaterie, kein Element entspricht dem Aufbau, der bleibt ihnen schlichtweg unbekannt. Was ist das dort nur für ein Zeug? Sie bohrten seit Jahrzehnten tief in den Weltraum hinein, quarks und strings und schwarze Löcher, doch das dort oben um die Ecke, das was den Mond so arg umwölkt, vermochten sie nicht zu identifizieren. Vermutet wird gar ein Trugschluss, eine Spiegelung, ein unbekanntes Feld, vielleicht nur ein Raum-Zeit-Paradoxon? Mit Ausrichtung sämtlicher Parabolspiegel der Erde macht sich auch diese hoffnungsvolle Lösung gleichsamt zunichte. Das Licht verschluckt, nur gleißender Mond zuckt ab und zu hervor hinter den Lücken. Kein Paradoxon, kein Knick der Optik, es ist dort oben, ohne Zweifel. Hier gibt es kein Entrinnen.
Es wird berichtet von einem Mann, der in der Nacht zuvor, erstmalig der Erscheinung, ungewöhnliche Lichtveränderungen bemerkt haben soll. Während er friedlich in seinem Bett dem Schlummer entgegenatmete, erhellte sich sein Schlafplatz plötzlich. Nur war es kein normales Licht, eher das des Mondes, es wurde kurzweilig heller, und schwächte wieder ab, der Mann von sonst robuster Natur wird in Erinnerung daran recht panisch. Beinah Vollmond war‘s, die Nacht schon hell, begann das Mondlicht zu pulsieren. Lag todmüde in seinem Bett, die Wände hell, und dann verdunkelt. Erhellt, dann dunkel, hell und dunkel. Er konnte sich keinen Reim drauf machen, vermutete ein Schwall Wolken, die einfach nur vorbeizogen. Sicher nur ein paar Wolken, doch viel zu hell dazwischen. Unheimlich war‘s schon. Die Müdigkeit obsiegte.
Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, noch am selben Tag, gibt eine Ansprache an die Nation, nein, an die ganze Welt. "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Ladys und Gentlemen. Ich schwöre, so wahr ich hier stehe, seien Sie unbesorgt, haben sie keine Angst. Don't panic. Das dort oben, das, was Sie, was Wir alle, zu sehen bekommen, ich, wir, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Vereinten Nationen, alle Nationen, wir werden dieses Ereignis aufklären, mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Wir haben alles unter Kontrolle. We have everything under control."
Derweil sitzt der russische Präsident gebeugt über einen Schreibtisch, die Arme rechts und links lang vor sich ausgestreckt, wischt hier und da durch die Papiere, mit Blick auf die Notizen nuschelt er, wird selbstverständlich aufklären, was es dort oben mit den Wolken auf sich hat. Nickt verstohlen das Ende seines Auftritts einläutend in die Kamera, an dessen anderen Ende seine Landsleute stumm vereint für dessen Rede stehen.
Die Feststellung setzt auch die letzten Wissenschaftler in Panik: der Mond bleibt voll, verändert sich nicht. Der Mond ist stehengeblieben. Genau gegenüber der Sonne. Anstatt zu wandern, den Zyklus folgend, rund um die Erde herum, stattdessen bleibt er am selben Fleck, rein optisch. Die Mondphasen sind aus dem Takt. Dreht er sich nun doch und wir sehen bald seine Rückseite? Das geht nicht, das kann nichts sein! Wie soll‘n wir das erklären? Wird auch die Erde stehenbleiben, was ist mit der Flut, was wird mit dem Wetter? Jetzt bleiben Sie doch bei der Sache, was schert mich denn die Flut oder die Fische? Wir haben hier wichtiges zu klären, dort oben, die unbekannten Wolken, woher, von wem? Eine außerirdische Macht vielleicht, wir müssen uns doch vorbereiten!
Jedes Mal drei Uhr in der Nacht, fängt das Licht an zu pulsieren. Ganz sanft und nachdrücklich, gleichmäßig erst heller, dann dunkler, hell und dunkel. Ein paar Mal, dann ist es wieder ruhig.
Vor ein paar Tagen war der unerwartete Tod des Professor Trexel zu vermelden. Die Aufregung hat ihn aus dem Leben gerissen. Tiefe Trauer herrscht in den Reihen der versammelten Fachleute. Er war ein angesehener, großartiger Wissenschaftler. Sie lagerten ihn ein im Kühlhaus der Medizintechnischen Universität. Die Abstimmung über den Termin der Beerdigung wurde auf später verschoben. Der Herr Blumfeldt wollte es wagen, es wagen, sich auf den Mond schießen zu lassen, wie er sagt. Das Risiko für die Menschheit auf sich nehmen, sich opfern, um zu schauen, was es mit den Wolken auf sich hat. Sie in ihren Uniformen hatten ihn gezwungen, auf der Erde zu verbleiben. Ein in einem See auf dem Rücken treibender Mann wurde von Sanitätern bei dem Versuch herausgefischt, sich von denen dort oben holen zu lassen. Die Fische derweil unbekümmert, schwammen ohne Unterbrechung weiter. Eine Frau komponierte eigens einen Gesang und schmetterte ihn insbrünstig hinaus ins All. Mehrere Personen stimmten ihr dabei ein. Die Botschaft: Götter der Finsternis, habt Erbarmen!
Die Tage, Wochen darauf, wie in einem Vakuum, schleichen die Menschen durch die Straßen, trauen sich kaum zu sprechen, flüstern nur, sind auch geschwächt, kaum einer schläft durchweg des Nachts. Ein Auge immer wach, den Blick auf das Pulsieren des Mondlichts, als könnte es jederzeit passieren. Aber was? Der Vollmond will nicht weichen, die Wolken kreisen weiter, verdecken und entblößen. Die ganze Welt wirkt unbewegt, kaum werkelt man, die Arbeit schafft nur wenig, auf unterstem Niveau, selbst die Maschinen sind verlangsamt. Gebannt wartet die Welt auf das was kommen wird. Die Müdigkeit erwacht am Tag.
Es ist ein Dienstag spät in der Nacht, da hört man Menschen kreischen. Sie kreischen schrill und unentwegt, Der Mond, der Mond! Die Wolken! Dort oben wird der Mond entblößt, die Flecken in Zeitlupe verkümmern. Nur noch der Rest, schon weg. Vorbei. Der Mond im herrlich ruhigen Glanz. Die Menschen noch erstaunter als wie all die Tage, Wochen gar zuvor. Unentwegt gestarrt auf diese Wolken, den Spuk dort oben. Sie starren den Mond, sie starren sich. Sind sie nun weg, verpufft, verschwunden, als wären sie nie dagewesen.